Zum Buch:
Finnland ist in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein gespaltenes Land. Ewig Spielball zwischen Schweden und Russland, wurde es erst 1917 als eigenständiger Staat gegründet. Im Jahr darauf bricht ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der prokommunistisch gesinnten Arbeiterschaft und der konservativ-nationalistischen Bürgerschaft aus, den die Konservativen nur mit deutscher Hilfe gewannen und in dem Tausende von „Roten“ in Lagern interniert und damit Hunger und Seuchen ausgeliefert wurden. Dieser bis heute nicht verheilte Riss in der finnischen Gesellschaft bildet den Hintergrund für den Roman „Das Trugbild“.
Rechtsanwald Thune, Angehöriger der schwedischen Minderheit in Helsingfors, zählt zu den Männern, die eher blass und unauffällig durchs Leben gehen. Seine Frau hat ihn vor kurzem für einen seiner Freunde verlassen, seine Praxis führt er ziemlich nachlässig und seinem Leben fehlen gleichermaßen Richtung und Sinn. Die politische Stimmung im Land, den erstarkenden Nationalismus und die wachsende Sympathie für Hitlerdeutschland beobachtet er mit Sorge. Einzige Unterbrechung in seinem ereignislosen Leben ist der „Mittwochsclub“, ein regelmäßiges Treffen alter und neuerer (männlicher) Freunde – Ärzte, Künstler, Unternehmer. Man trinkt, redet und politisiert. Aber auch hier zeigen sich Veränderungen. Thune ist mit seiner liberalen Gesinnung zunehmend alleine und beobachtet mit Verblüffung und Irritation, dass einige seiner Freunde mehr und mehr rassistischem und faschistischem Gedankengut anhängen.
Je mehr er das Gefühl hat, sein Leben verliere an Kontur, umso wichtiger wird ihm Matilda Wiik, die seit kurzem als Sekretärin für ihn arbeitet. Sie ist das ordnende Prinzip in seiner Kanzlei, sorgt freundlich und charmant, aber auch kühl und unnahbar für den reibungslosen Ablauf und übernimmt immer weiterreichende Aufgaben. Sie ist die zweite Hauptperson des Romans. Mal als Frau Wiik, mal als Matilda oder Fräulein Milja bezeichnet, hat ihre Persönlichkeit viele Facetten und – wie sich nach und nach herausstellt – hütet sie ein verstörendes Geheimnis. Eines Abends, als der „Mittwochsclub“ in Thunes Kanzlei tagt, hört Frau Wiik eine männliche Stimme, die sie an die schlimmste Zeit in ihrem Leben erinnert.
Es ist die Stärke des Romans, dass er persönliche Geschichten und gesellschaftliches Klima geschickt miteinander verschränkt. Nichts findet nur auf einer Ebene statt. Welche Erfahrung eine Person macht und welche Schlüsse sie daraus zieht, wie sie handelt und fühlt, das wird jeweils individuell und gesellschaftlich begründet. Der Autor lässt sich bei der Entwicklung der Handlung Zeit, und doch entwickelt die Geschichte einen heftigen Sog. Man verfolgt gebannt, wie sich eine Gruppe Intellektueller vom aufkommenden Faschismus faszinieren lässt und wie diese Faszination ihr Verhältnis zueinander verändert. Wie nicht aufgearbeitete Gewalt neue Gewalt erzeugt. Und dass Westö das Geheimnis um Frau Wiik erst auf den letzten Seiten enthüllt, gibt der Geschichte zusätzliche Spannung.
autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt