Zum Buch:
1976. Lew ist 9 Jahre alt, als seine Eltern für immer aus seinem Leben und dem seines älteren Bruders verschwinden. Dass sie „Republikflucht“ begangen haben sollen, wie die Polizei den beiden bei den Verhören sagt, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, ihre Kinder mitzunehmen, kann Lew nicht glauben. Die Brüder kommen in eine neue Familie – bis die Mauer fällt und ein neues Leben möglich ist. Was aus seinen Eltern wurde, findet Lew nicht heraus. Als er neunundzwanzig Jahre später aus Indien die Nachricht vom Tod seiner Mutter erhält, macht er sich auf die Suche nach seinem Vater – um endlich zu erfahren, was damals wirklich geschah.
Milena ist aus Jugoslawien nach Deutschland gekommen. Sie will arbeiten und Geld verdienen. Als sie in die Heimat zurückkehrt, ist sie schwanger. Nach der Geburt ihres Sohnes lässt sie das Kind bei ihrem Vater und fährt zurück. Ihre Briefe und das Geld, das sie ihrem Vater schickt, werden immer seltener, und so macht sich der alte Mann mit dem inzwischen vierjährigen Fido auf den Weg zu ihr. Sie werden Milena nicht finden, und Fido wird in Deutschland aufwachsen. Sesshaft wird er allerdings nie werden.
Ira wächst mit ihrem Opa und den Eltern in einem kalten, ungemütlichen Haus auf. Der Weltkriegsveteran hat großes Vergnügen daran, das Kind im Keller zu erschrecken. Ihre gefühlskalte Mutter bringt mehr Engagement für die Umweltbewegung auf als für ihr Kind und nimmt dieses auch gerne als Schutzschild auf Demonstrationen mit. Iras Vater kann sie nicht schützen, denn seiner Liebe kann sie sich zwar sicher sein, nicht aber, ob er dabei auch immer weiß, wo diese ihre Grenzen hat.
Die Lebenswege von Ira, Lew und Fido kreuzen sich an unterschiedlichen Stellen ihres Lebens. Wie Billardkugeln berühren sie sich kurz, um dann wieder auseinander zu driften. Alle sind sie auf der Suche nach dem,was die wichtigsten Menschen in ihrem Leben ihnen verweigert haben: sich selbst im liebevollen Spiegelbild des anderen zu erkennen.Als Iras Vater im Sterben liegt und Lew aus Indien zurückkehrt, gibt es die Chance, doch noch so etwas wie einen festen Ort im Leben zu finden – vielleicht.
„Länger als sonst ist nicht für immer“ ist ein leises, melancholisches, aber auch humorvolles Buch. Es drängt sich dem Leser nicht auf, weil es vieles unausgesprochen lässt, was dem Text etwas Schwebendes gibt. Gegenwart und Vergangenheit durchdringen einander und legen so allmählich das Innere der Personen frei. Ihre Ängste, Enttäuschungen, Verwirrung, Einsamkeit – aber auch die Hoffnungen und die Kraft, die sie in sich tragen und die ihnen helfen, ihren Weg zu gehen.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx&co., Frankfurt