Zur Autorin/Zum Autor:
Jean-Pierre Abraham, geboren 1936 in Nantes, gestorben 2003 (Bretagne). Literaturstudium an der Sorbonne. Lebte als Schriftsteller und Journalist zumeist im Finistère.
Armen ist der am weitesten in den Atlantik ausgesetzte Leuchtturm der Bretagne. Dort war Jean-Pierre Abraham drei Jahre lang Leuchtturmwärter. Sein Buch beschreibt die Monate von November bis Mai auf dem Turm. Es erzählt von Arbeit, von Einsamkeit, von der klaustrophobischen Enge des Turms und der beängstigenden Weite des Meeres. Von der Eintönigkeit der Tage und den Momenten des Einswerdens mit dem Licht. Ein Text von großer Schlichtheit, sprachlicher Schönheit und von einer Wucht, die dem Meer im Winter gleicht.
(ausführliche Besprechung unten)
Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die Signalfeuer der Leuchttürme noch von Menschen bedient wurden, arbeitete Jean-Pierre Abraham als Leuchtturmwärter auf dem am weitesten in den Atlantik ausgesetzten Leuchtturm vor der Bretagne. Armen wird der Turm auf Bretonisch genannt, das bedeutet der Stein. Der mehrwöchige Dienst auf dem Turm wird alle paar Wochen – wenn der Seegang es zulässt – von einem Landgang unterbrochen. Ansonsten sind er und ein Kollege allein. Abwechselnd wachen sie über die komplizierte Technik, halten die Maschinen in Gang, entzünden die Leuchtfeuer und – wenn nötig – das Signalhorn. Tag und Nacht, in eintönigem Wechsel. Bei Kälte, Sturm, Nebel, Regen.
Der Leuchtturm ist ein Tagebuch. Es schildert die Monate von November bis Anfang Mai. Die Eintragungen beschreiben die täglichen Arbeiten, das wortkarge, dennoch gut eingespielte Nebeneinander der zwei Männer, die eintönigen Tage und die langen Nächte. Das Heulen des Windes, das Toben der Wellen, die klamme, endlos anhaltende Stille des Nebels. Das Zischen der Lampen, das Knarzen der Maschinen, das Klatschen der Wellen an das Gemäuer, das Pochen des eigenen Herzens.
Der Wunsch des Tagebuchschreibers, innere Stille und Ruhe in der Eintönigkeit zu finden, erweist sich als Irrtum. Die Gedanken drehen sich wie die Leuchtfeuer. Erinnerungen kommen, Fragen nach der Sinnhaftigkeit seines Lebens, Ängste drängen sich auf. Immer wieder vertieft sich der Schreiber in die drei Bücher, die er mit auf den Turm gebracht hat: einen Band mit Gedichten von Pierre Reverdy, einen Bildband mit Ansichten eines Zisterzienserklosters und einen mit Bildern von Vermeer.
Aber das Buch gibt sich nicht nur existentiellen Betrachtungen hin. Die Schilderung eines Sturmes, bei dem die Tür des Turms eingedrückt wird und die Wellen hoch bis zur Kuppel schlagen, ist atemberaubend, und hinreißend sind die Passagen, als die Männer eine Art Putzwut überkommt. Um der Eintönigkeit zu entgehen, aber auch, um ihren kleinen Kosmos in einer Ordnung zu halten, die ihnen auch inneren Halt gibt.
Fällt es Anfangs noch etwas schwer, sich dem Gedankenstrom und den Schilderungen hinzugeben, zieht der Text einen zunehmend in seinen Bann – vorausgesetzt, man hat etwas übrig für Schilderungen, in denen Innenwelt und Außenwelt gleichermaßen extrem sind. Jean-Pierre Abraham findet dafür eine wunderbare ruhige und unaufgeregte Sprache, die trotz ihrer Schlichtheit eine große Eindringlichkeit und Sinnlichkeit hat.
Ruth Roebke, Autorenbuchhandlung Marx & Co., Frankfurt