Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Herzog, Werner

Das Dämmern der Welt

Untertitel
Beschreibung

Im Dezember 1944, am Ende des Pazifischen Krieges, fliehen die japanischen Besatzer vor den herannahenden amerikanischen Truppen und räumen die philippinische Insel Lubang. Der dreißigjährige Soldat Hiroo Onoda erhält von seinem Major den Befehl, die Insel mit einigen wenigen Männern so lange zu verteidigen, bis die Japaner siegreich zurückkehren werden. An diesen Befehl hält Onoda sich unbeirrt bis ins Jahr 1974, in dem es dem ehemaligen Studenten Norio Suzuki gelingt, Onodas greisen Major auf die Insel zurückzubringen, der den Befehl widerruft.

Der Filmregisseur und Autor Werner Herzog hat 1997 den hochbetagten Onoda kennengelernt und erzählt dessen Geschichte dieser Jahre. Das Dämmern der Welt ist eine faszinierende Lektüre, ein schmaler Text, der auf engstem Raum existentielle Themen berührt, geschrieben in einer visuellen, eindrücklichen Sprache, die lange nachwirkt. Ein beeindruckendes Buch!
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2021
Format
Gebunden
Seiten
128 Seiten
ISBN/EAN
978-3-446-27076-3
Preis
19,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Werner Herzog, 1942 in München geboren, lebt in Los Angeles. Sein filmisches Werk wurde mit allen großen Preisen ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen 1978 Vom Gehen im Eis, 2004 Die Eroberung des Nutzlosen und 2021 Das Dämmern der Welt.

Zum Buch:

Zum Ende des Pazifischen Krieges, im Dezember 1944, fliehen die japanischen Besatzer vor den herannahenden amerikanischen Truppen und räumen die philippinische Insel Lubang. Der dreißigjährige Soldat Hiroo Onoda, der über eine Spezialausbildung in geheimer Kriegsführung und Guerillataktiken verfügt, erhält von seinem Major den Befehl, die Insel mit einigen wenigen Männern so lange zu verteidigen, bis die Japaner siegreich zurückkehren werden. Onoda wird auf sich selbst gestellt sein, es wird keine Regeln geben, an die er sich zu halten hat, bis auf ein einziges Gesetz: das Verbot, von eigener Hand zu sterben. „Sie werden ein Geist sein“, sagt der Major, „nicht fassbar, der immerwährende Albtraum des Feindes“.

Dies ist der Befehl, und Onoda wird sich fast dreißig Jahre lang daran halten. Seine Männer verliert er nach und nach, seine Ernährung ist kärglich, seine Kleidung besteht aus immer neuen Flicken. Er lebt in wechselnden Verstecken, wird nie aufgespürt, kämpft, tötet angebliche und wirkliche Angreifer. Nie kommen ihm Zweifel an seiner Aufgabe, und sämtliche Versuche der Amerikaner oder Japaner, ihn vom Kriegsende zu überzeugen, hält er für Kriegslisten des Feindes, denen er nicht nachgeben darf. Der Glaube an seine Mission verfestigt sich im Laufe der Jahre, die er zunehmend einsamer im Dschungel verbringt, und nichts kann das Ziel, die Insel für die Japaner zu verteidigen, infrage stellen – bis ihn 1974 der jugendliche Abenteurer Norio Suzuki aufspürt, dem es gelingt, Onodas greisen Major auf die Insel zu bringen, um den Befehl zu widerrufen.

Der Filmregisseur und Autor Werner Herzog hat 1997 den hochbetagten Onoda kennen gelernt und erzählt dessen Geschichte. Onoda scheint eine der typischen Herzog-Figuren wie Aguirre oder Fitzcarraldo zu sein. Im Gegensatz zu diesen treibt ihn jedoch weder die Gier nach Gold und Ruhm an, noch ist er von dem Wahn besessen, ein Opernhaus im Dschungel erbauen zu wollen. Im Gegenteil – Onoda fehlt dazu ein entscheidendes Merkmal: ein Ego. Er folgt dem Ehrenkodex der Armee, der absolute Loyalität – die Bereitschaft, sein Leben für die Gemeinschaft zu lassen – und die Aufgabe jeder Individualität fordert.

Das Dämmern der Welt ist ein faszinierendes Buch, das über die eigentliche Handlung hinaus Kernfragen der menschlichen Existenz und deren Unterschiede in westlichen und fernöstlichen (traditionellen) Gesellschaften berührt: den Stellenwert des Individuums in einer Gemeinschaft, den Wert der „freien“ Entscheidung, das „Recht“ auf körperliche Unversehrtheit und vor allem die Sinnhaftigkeit unseres Handelns und Seins. Die Kunst des Autors besteht darin, nichts davon breit auszuerzählen. Herzogs knappe Sprache ist von einer faszinierenden Visualität – Das Dämmern der Welt hätte durchaus einer seiner bildmächtigen Filme werden können.

Ruth Roebke, Frankfurt