Zum Buch:
Wenn wir deutschen Leser überhaupt den Namen Vladimir Jabotinski kennen, verbinden wir ihn mit dem „revisionstischen“ Zionismus, mit der militanten Strömung des Kampfes für einen jüdischen Staat. In den 1920er Jahren war er am Aufbau der zionistischen Kampftruppe Haganah beteiligt, die mit Waffengewalt gegen die britischen Mandatstruppen und gegen militante Araber vorging. So schnell wie möglich sollte ein jüdischer Staat entstehen, ein Fortdauern des Lebens in der Diaspora konnte in Jabotinskis Sicht nur in den Untergang des Judentums führen.
Der Roman „Die fünf“ hat auf den ersten Blick wenig mit diesen politischen Überzeugungen zu tun. Er erzählt von einer jüdischen Familie in Odessa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Ich-Erzähler lernt die fünf Geschwister Milgrom und deren Eltern kennen, weil er eine sehr komplizierte Liebe zur ältesten Schwester lebt. Diese Liebesgeschichte führt durch den Roman. Das Thema ist aber viel weiter gefasst. An den fünf Typen, die von den Geschwistern Milgrom repräsentiert werden – und an ihren Beziehungsnetzen – entfaltet der Autor ein Panorama des jüdischen Lebens in der Diaspora. In den ersten Kapiteln, in denen die Personen dem Leser vorgestellt werden, blüht das Leben der Juden inmitten der von Heterogenität und kreativem Leben mit der Differenz geprägten Umwelt.
Aber der Lebensentwurf oder das Treiben durch die Abenteuer und Wechselfälle des Lebens, wie unterschiedlich es auch angelegt war, bricht bei allen zusammen. Die Liebe erfüllt sich nicht, die Kinder sterben, der schöne Taugenichts verliert sein Gesicht. Die alten Eltern haben am Ende fast alles verloren, als der hoffnungsvolle, durch und durch rationale Sohn Torik dem Erzähler eröffnet, dass er sich taufen lassen wird.
Die leichte und oft spielerische Gestalt des Romans überdeckt die politische Botschaft, die doch sehr klar ist: Es gibt in Jabotinskis Sicht keine Zukunft für Juden in der Diaspora. Das war 1935, als der Roman in Paris erschien, das tägliche Agitationsthema des Autors. Ende der 1930 Jahre reiste er durch Polen, um Juden für die zionistische Sache zu gewinnen. Er prophezeite den Menschen, die in Europa bleiben würden, den nahen Tod. Dass diese Prophezeiung realistisch war, musste er nicht erleben. Er starb 1940 beim Besuch in einem Camp der paramilitärischen Jugendgruppe Betar in den USA an einem Herzanfall. Sein Grab befindet sich heute in Jerusalem auf dem Herzlberg.
Es ist erstaunlich, dass der Roman „Die fünf“ in der Übersetzung von Ganna-Maria Braungardt vor allem ein wunderbares Leseerlebnis ist, eine Flaschenpost aus dem funkelnden Odessa um 1900. Jabotinski erweist sich als großer Erzähler, der dem Leben der Diaspora, vielleicht wider Willen, ein leuchtendes Denkmal geschrieben hat.
Gottfried Kößler, Frankfurt am Main