Zum Buch:
Um es kurz zu machen: Passagen zählt mit Sicherheit zu den schwierigsten Texten, die ich kenne. In ihrem sehr erhellenden und einfühlsamen Vorwort schreibt die Lyrikerin Claire-Louise Bennett, dass man das Buch nicht anders als am Stück lesen sollte. „Es zwischendurch aus der Hand zu legen, wäre ein bisschen so, als wollte man eine Auster in kleinen Happen und mit langen Pausen essen – sinnlos, zutiefst irritierend und letztlich unbefriedigend.“ Bei nicht einmal 150 Seiten ist das durchaus zu schaffen, auch wenn man mitunter das Gefühl hat, der Text arbeite gegen einen. In Textstücken erzählt Ann Quin aus wechselseitiger Perspektive von einer Frau und einem Mann, die sich auf die Suche nach dem verschollenen Bruder der Frau machen. Dabei treffen Auseinandersetzungen mit Behörden, Verfolgung, Folter und Verhöre auf die Szenerie einer nicht abreißenden Kette von Hotels, Zügen und nächtlichem Baden im Meer. Die brütende Hitze des Mittelmeerraums bietet dabei Anlass zu halberotischer Trägheit, während sie zugleich den Druck und die Bedrängnis politischer Verfolgung durch einen nicht näher benannten totalitären Staat spürbar macht. Wurde der Bruder wegen angeblicher Spionagetätigkeit verhaftet? Lebt er versteckt unter Partisanen? Oder ist er nur eine fixe Idee, eine Projektion des Verlangens wie des Schreckens zugleich?
So krass die Gegensätze sind, die der Roman verhandelt – Quins Prosa ist in keiner Weise darauf angelegt, das Extreme zu befrieden –, so klar arbeitet die poetische Verarbeitung mit Techniken des Zusammenfließens und des Entgrenzten. Das Meer selbst erscheint nicht nur als ein wichtiges Thema der Erzählung, sondern auch als poetisches Verfahren. Szenen werden kaum auserzählt, vielmehr liest man sich durch eine Reihe von Vignetten von überreicher Bildlichkeit. Pronomen werden in ihrer unsicheren Bezüglichkeit quecksilbrig schillernd und verhindern das Vorankommen eines stringenten Lesens. Die Arten und Weisen, mit denen Ann Quin unser Verständnis von Literatur herausfordert, sind zahlreich und in jedem Fall die Mühe wert.
Ann Quin zählt zu den wichtigsten Vertreterinnen der vergessenen britischen Avantgarde der experimentellen Literatur. Dass der nicht weniger legendäre März Verlag sie in sein erstes Programm seit der Neugründung in diesem Jahr aufgenommen hat, macht Freude mit Blick auch kommende Neu- und Wiedererscheinungen.
Theresa Mayer, Frankfurt a.M.