Zum Buch:
Mit der “Vermessung der Welt” von Daniel Kehlmann ist Alexander von Humboldt, dessen 150. Todestag in diesem Jahr gefeiert wird, als Kunstfigur ein weiteres Mal berühmt geworden – er war es als Forschungsreisender und Universalgelehrter schon zu Lebzeiten.
Wer den großen Forscher näher und persönlich kennen lernen will, wird in diesem Prachtband wertvolle Entdeckungen machen, denn der Herausgeber und Humboldt-Spezialist Frank Holl hat viele in dieser Form noch nicht publizierte Ausschnitte aus Briefen, Tagebüchern und Reiseberichten in Fassungen zusammengestellt, die den überarbeiteten Texten der bisherigen Bucheditionen vorausgehen. Humboldt spricht hier unzensiert, mit Enthusiasmus, großer Unmittelbarkeit und ohne diplomatische Rücksichten auf bestehende politische Machtverhältnisse.
Und genau das macht diesen Band so wertvoll. Ob Humboldt über seine langweilige Jugend auf Schloß Tegel berichtet, über selbst unternommene Versuche mit einer von ihm erfundenen Rettungslampe für Bergbauarbeiter, bei denen er ohnmächtig aus dem Schacht gezogen wird, über Sklavenhaltung auf Kuba oder unrechtmäßige Bereicherungen der Missionare am Orinoco: Seine Ausführungen sind durchdrungen von Erkenntnisdrang, Aufrichtigkeit und dem Wunsch “nach guten Zwecken hinzuwirken.” Und was Humboldt über die Folgen von Abholzung für klimatische Entwicklungen, über das uneingeschränkte Ineinandergreifen aller Naturkräfte, die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, transdisziplinärer Forschung und die rechtliche Gleichstellung aller Menschen sagt, gilt ungebrochen bis heute: Alexander von Humboldt war ein durch und durch moderner Geist. Er dachte und lebte global, und verstand darunter etwas grundsätzlich anderes als die heutige Weltwirtschaft.
“Mein vielbewegtes Leben” ist ein großformatiges Buch, ein Atlas, der den Leser tief in den humanitären Forschergeist Alexander von Humboldts hineinführt und anschaulich mit vielen großzügigen, teils unveröffentlichten, ganz- oder doppelseitigen Abbildungen von zeitgenössischen Skizzen, Stichen und Malereien authentische Eindrücke seiner unglaublichen Reisen nachzeichnet: auch ein bibliophiler Genuss.
Susanne Rikl, München