Sachbuch

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Buchempfehlungen Sachbuch

Autor
Le Bret, Hugues

Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte

Untertitel
Ein Insiderbericht. Aus dem Französischen von Enrico Heinemann und Ursel Schäfer
Beschreibung

An Berichten über die letzte Finanzkrise, die viele noch gar nicht für beendet halten, herrscht auf dem Buchmarkt kein Mangel. Unter dem guten Dutzend Büchern mit Berichten, Analysen und Prognosen zur Krise hat dasjenige von Hugues Le Bret allerdings zwei erhebliche Vorzüge. Es ist erstens sehr gut geschrieben und auch Lesern ohne Kenntnis des Finanzmarkt-Chinesischen gut verständlich, und zweitens ist Le Bret wirklich ein „Insider“, wie es im Untertitel heißt.

Verlag
Kunstmann Verlag, 2011
Format
Kartoniert
Seiten
296 Seiten
ISBN/EAN
978-3-88897-722-0
Preis
18,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Hugues Le Bret ist mit Veröffentlichung seines Buches von seinem Chefposten bei Boursorama, der führenden französischen Online-Bank, zurückgetreten. Über die gesamte Dauer der Kerviel-Affäre war er als Kommunikationschef im Führungsteam um Daniel Bouton, Chef der Société Générale.

Zum Buch:

An Berichten über die letzte Finanzkrise, die viele noch gar nicht für beendet halten, herrscht auf dem Buchmarkt kein Mangel. Unter dem guten Dutzend Büchern mit Berichten, Analysen und Prognosen zur Krise hat dasjenige von Hugues Le Bret allerdings zwei erhebliche Vorzüge. Es ist erstens sehr gut geschrieben und auch Lesern ohne Kenntnis des Finanzmarkt-Chinesischen gut verständlich, und zweitens ist Le Bret wirklich ein „Insider“, wie es im Untertitel heißt. Er war Kommunikationsdirektor im Vorstand der französischen Bank Société Générale, die mit einer Bilanzsumme von rund 1 Billion Euro zu den wirklich Großen gehört. Sein Buch ist ein Tagebuch über den Verlauf, die bankinternen und die öffentlichen Diskussionen über den mit Abstand größten Betrug in der Geschichte des modernen Bankwesens.

Le Bret erzählt eine Geschichte, die spannender nicht sein könnte und sich liest wie ein Drehbuch zu einem Krimi. An einem Sonntag, dem 20.Januar 2008, also lange vor der Finanzkrise, die mit den Turbulenzen auf dem amerikanischen Immobilienmarkt begann, erreichte Le Bret ein Anruf seines Chefs Daniel Bouton. Der dirigierte die Société Générale und gilt als erfolgreichster europäischer Banker. Le Bret nahm das Gespräch zunächst gar nicht an, denn sein Sohn hatte Geburtstag, aber beim zweiten Anruf ging er ans Telefon und der Chef verlangte sein sofortiges Erscheinen im Büro.

Was er in den nächsten Stunden erfuhr, sprengt alle Vorstellungen des erfahrenen Kommunikators Le Bret. Einer der Händler im Investmentbanking soll betrügerische Transaktionen im Umfang von 50 Milliarden Euro an seinen Chefs und der Sicherheits-und Kontrollabteilung vorbei veranlasst haben. Das entspricht dem eineinhalbfachen des Grundkapitals der Bank, die also sofort pleite gewesen wäre, wenn der Betrug bekannt geworden wäre.
Der sofort gebildete Krisenstab tagte praktisch rund um die Uhr und suchte nach Lösungen, die Kunden, die Investoren, die Öffentlichkeit, die Bankenaufsicht und die politische Führung zu beruhigen, ohne Gesetze zu verletzen. Ein Marsch auf Messers Schneide, den die beteiligten Manager – je nach Temperament – nur mit Medikamenten und/oder Alkohol überstanden. Le Bret selbst verlor – schlaflos – in kurzer Zeit sieben Kilo seines Gewichts, der Bankchef Daniel Bouton arbeitete sich buchstäblich krankenhausreif.

Es gelang dem Krisenstab, trotz schlechter Marktlage, die 50 Milliarden Verbindlichkeiten des betrügerischen Händlers innerhalb einer knappen Woche tröpfchenweise zu liquidieren, ohne dass die Konkurrenz oder die Öffentlichkeit Verdacht schöpften. Die Bank erlitt dabei allerdings einen Verlust von über 5 Milliarden Euro, der gegenüber dem Verwaltungsrat und den Aufsichtsbehörden nicht zu verheimlichen war, aber die Bank aus der Existenzbedrohung befreite. Lange Zeit gelang es auch, den Namen des Betrügers geheim zu halten.

Der Bericht von Le Bret ist schonungslos offen. Er räumt ein, wie der eingeweihte Krisenstab, „nicht zu wissen, was genau passiert ist.“ Er vergleicht „die mathematischen Modelle für die Aktienderivate“, auf denen die Spekulation beruht, mit dem „Reaktorkern“ eines Atomkraftwerks, das außer Kontrolle geraten ist. Der „Vertrauensverlust“ bedeutet für eine Bank, was der Brand in einem Atomkraftwerk darstellt – den Anfang vom Ende. Trotzdem betrieb Le Bret seine Öffentlichkeitsarbeit routiniert wie gewohnt und beruhigte den Orkan der öffentlichen Meinung mit beruhigenden Informationen über die Sicherheit der bankinternen Kontrollen.

Zwar hat der Krisenstab eine Bankkatastrophe verhindert, aber die Pointe des Berichts liegt woanders: die Politik und die Aufsichtsbehörden sind nach wie vor chancenlos, der letztlich unkontrollierbaren legalen und betrügerischen Spekulation wirksame Schranken zu setzen. Der Betrüger Jérôme Kerviel wollte sich an den Transaktionen nicht persönlich bereichern, sondern „nur“ seinen Bonus von 60 000 Euro auf 600 000 Euro erhöhen. Le Brets Fazit stimmt bedenklich. „Das war nicht der letzte schwarze Schwan, der uns überrascht hat.“

Auch über das Zusammenspiel von Banken und Politik und die Konkurrenz unter diesen ungleichen Partnern um die Meinungsführung in der Öffentlichkeit bietet das Buch von Le Bret Einsichten, die geeignet sind, an der Stabilität des demokratischen und rechtsstaatlichen Fundaments Frankreichs zu zweifeln. Und das ist mit Sicherheit keine französische Spezialität, denn auch das Berliner Krisenmanagement des Duos Merkel/Steinbrück stellte Wechsel auf die Zukunft aus, bei deren Fälligkeit die Verantwortlichen längst nicht mehr im Amt sein werden. Bei den Kosten für die Endlagerung der „toxischen“ Papiere in staatlichen Tresoren verhält es sich ähnlich wie bei der Endlagerung des Atommülls – niemand weiß Genaueres. Aber bezahlt werden muss – meistens von den Steuerzahlern.

Rudolf Walther, Frankfurt am Main