Zum Buch:
Die Revolte nach dem Staatsbankrott im Dezember 2010 rückte die sozialen Bewegungen Argentiniens kurzfristig in den Blickpunkt der kritischen Öffentlichkeit weltweit. In ihrer Dissertation untersucht Martina Blank, wie sich die Bewegung nach der heißen Phase der Proteste Ende 2001/Anfang 2002 weiter entwickelt hat. Hatten sich die großen und lauten Massendemonstrationen oder die Verkehrsblockaden der Piqueteros im Zentrum von Buenos Aires konzentriert, wurde zunehmend das barrio, das Stadtviertel, konkret die ärmeren Vorstädte in der Provinz Buenos Aires, zum Kristallisationspunkt der Aktivitäten. Dort organisierten die aktiven Leute Selbsthilfeinitiativen für das tägliche Überleben wie Volksküchen oder Tauschmärkte, dort diskutierten sie auf Stadtversammlung über weitere Aktionen und versuchten die Kommunikation mit den Nachbarn zu organisieren und sie zu ermutigen, weiter aktiv zu bleiben und für die Verbesserung ihrer Situation zu kämpfen. Dabei blieb das barrio für die BewegungsaktivistInnen nicht alleine ein geographischer Ort, sondern vor allem ein soziales Netzwerk. Barrio ist da, wo die Nachbarn etwas gemeinsam machen. Manche Orte haben sich durch die gemeinsamen Aktivitäten überhaupt erst als barrio konstitutiert und forderten öffentliche Räume ein, um sich zu treffen oder gemeinsame Projekte zu organisieren. Durch die Vernetzung und Zusammenarbeit mit den Gruppen aus anderen barrios konnte es die Bewegung vermeiden, sich im klein-klein des eigenen Bezirks aufzureiben und dabei weitergehende politische Ziele und Forderungen aus dem Blick zu verlieren. In einer Zeit weltweiten Deregulierung und Entstaatlichung gewinnt die Frage, an welchem Ort und in welchem Rahmen sich politische Organisierung heute vollziehen kann, zunehmend an Bedeutung. Die Untersuchung von Martina Blank über die trabajo territoral in Argentinien bietet in diesem Zusammenhang spannendes Material und grundsätzliche Überlegungen für die sozialwissenschaftliche Diskussion, aber auch für die politische Praxis linker Politik heute.
Gert Eisenbürger (Bücher zu Lateinamerika)