Zum Buch:
Nach dem ökonomischen Zusammenbruch im Dezember 2001 und dem darauf folgenden Sturz mehrerer Regierungen innerhalb weniger Wochen, galt Argentinien manchen AktivistInnen als Land im politischen Aufbruch. Bis heute liest man gelegentlich auf Flugblättern, in Argentinien agierten mächtige autonome soziale Bewegungen, gäbe es reihenweise besetzte Betriebe und würden wichtige lokale Entscheidungen auf offenen Stadtteilversammlungen gefällt. Leider hat das nur noch wenig mit der aktuellen politischen Realität des Landes zu tun. Dieter Boris und Anne Tittor arbeiten heraus, wie es dem politischen Establishment in Argentinien gelang, die Ökonomie zu reaktivieren und die politischen Beziehungen zu normalisieren. Dafür bedurfte es freilich einer teilweisen Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftsmodell und (bescheidenen) sozialen Zugeständnissen an die ärmsten Bevölkerungsgruppen sowie einer Neuorientierung in der Menschenrechts- und Außenpolitik. Dies erfolgte vor allem unter der Präsidentschaft von Nestor Kirchner (2003-2007). Trotz großer politischer Sympathie für die sozialen Bewegungen zeigen Boris/Tittor, dass die von diesen in den Jahren 2002/2003 entwickelte Dynamik längst gebrochen ist. Der Regierung ist es gelungen wichtige Bewegungen, vor allem die Arbeitslosengruppen (Piqueteros) zu spalten und teilweise zu kooptieren und die besetzten Betriebe unter für diese extrem ungünstigen Bedingungen zu legalisieren. Es gibt auch heute in Argentinien noch beachtliche unabhängige Bewegungen, das politische Zepter hält jedoch längst wieder der Peronismus in Händen.
Gert Eisenbürger (Bücher zu Lateinamerika)