Zum Buch:
Lange bevor mit der Wahl Lulas zum brasilianischen Präsidenten das Gespenst des Sozialismus in Lateinamerika wieder auf die weltpolitische Bühne gehoben wurde, spielte sich (weit unbemerkter von der ganz großen Weltöffentlichkeit) in Brasilien ein bemerkenswerter Demokratisierungsprozess ab, dessen gebührende Würdigung in der politischen Literatur noch immer aussteht. Vier Jahre vor Lulas Wahlsieg begann sich in Rio Grande do Sul unter Federführung der PT ein partizipatives politisches System zu etablieren, dessen sichtbarstes Phänomen die basisorientierte Erarbeitung des so genannten Bürgerhaushaltes war, der Versuch, die Leitlinien der Politik nicht mehr von oben nach unten sondern konsequent umgekehrt zu erarbeiten. Tragischerweise verlor die PT-Regierung in Rio Grande do Sul parallel zu Lulas Wahlsieg im Land ihre Macht und das Experiment konnte so nicht mehr weitergeführt werden.
In seiner Dissertation versucht Markus Brose die sozialen und historischen Hintergründe jenes demokratischen Experiments in Rio Grande do Sul aufzuzeigen und das historische, soziale und ideologisches Geflecht und die Wechselwirkungen zu analysieren, welche ausgerechnet in dem wirtschaftlich prosperierenden Bundesstaat den Einzug marginalisierter Gruppen in die Landespolitik ermöglichten. Er weist nach, dass die Revolution von 1999 das Resultat einer rapiden Ausweitung von Demokratisierung und Bürgerbeteiligung in einem relativ korruptionsarmen und im Vergleich zu anderen brasilianischen Regionen relativ stabilen ökonomischen Umfeld war. Seine Analyse geht aber auch dahin, dass Zivilgesellschaft an sich nicht unbedingt demokratiefördernd ist, so lange sie sich nicht in den Zusammenhang einer auf Veränderung ausgelegten politischen Gesamtkonzeption steht. Insofern ist sein Blick auf das (vorerst abgeschlossene) Beispiel Rio Grande do Sul ein auch auf zivilgesellschaftliche Prozesse in Europa ein sehr lohnender.
Michael Kegler (Bücher zu Lateinamerika)