Zum Buch:
Nach den zwei beeindruckenden Dokumente der lyrischen Suche (Asche und Fremd die ich war) erscheinen jetzt die Tagebücher von Alejandra Pizarnik (Buenos Aires 1936-1972) in deutscher Übersetzung. Aber hier handelt es sich hier um einen ganz andere Welt der argentinischen Dichterin. Auch wenn die Labyrinthe der Dichtungsbände nicht jedermann Sache ist, so mag die Veröffentlichung (oder diese Art der Veröffentlichung) vielleicht nicht Alejandra Pizarnik Sache sein. Vielleicht erfuhren diese Tagebücher ein ähnliches Schicksal wie viele andere Tagebücher auch: die Spuren fremder Augen bei der Auswahl der Passagen oder der Versionen des Textes. Wer weißt das schon.
Becciu schreibt in der Vorwort: Dennoch bin ich von der Grundsatz ausgegangen, die Intimsphäre noch lebender erwähnter Dritter sowie der Tagebuchautorin und ihre Familie nicht zu verletzen.
Wie entscheidet man, was verletzt und was nicht? Und wie viele dieser lebenden Dritten waren am Leben, als diese Tagebücher veröffentlicht wurden, 30 Jahre nach dem Tod Pizarnik?
Wir lesen (S. 41): Ich esse zu Mittag. Streit mit mein Vater. Ich merke, er ist hysterisch. Es macht mir Spaß, seine Laune noch zu verschlechtern.
Diese Verletzung wurde also in Kauf genommen, aber nach welchen Kriterien wurden andere Passagen nicht veröffentlicht, hören wir tatsächlich die Stimme von Pizarnik? Der Doktorarbeit von Patricia Vanti nach wurden etwa 120 Eintragungen gestrichen. Aus dem Jahr 1971 stammen nur wenige Eintragungen, das Jahr ihres Todes 1972 fehlt vollständig. Warum dürfen wir dieser Notizen nicht lesen? Hat Pizarnik am letzten Tag ihres Leben über dieses Treffen mit Becciu berichtet, hat sie sich nicht doch verabschiedet, wie einst Pavese, einer ihrer Lieblingsdichter?
So bleibt es ein Rätsel, ob die Barbiturate, die sie in der Todesnacht zu sich nahm, nur ein unglückliche Unfall oder ein Freitot waren.
Und was ist mit dem Intimsphäre Pizarniks? Die Streichung betraf offensichtlich nicht die Eintragungen über ihre Einsamkeit, ihres unerfüllten Sexuallebens, ihre Depressionen, ihre Unsicherheit, ihre Exzesse, ihre Eßstörungen. Warum dürfen wir die Sätze lesen, die sie selbst gestrichen hatte, warum wurden sie nicht wenigstens unkenntlich gemacht? (siehe S. 203) Hatte sie nicht auch ein Recht auf ein Privatleben? Wer profitiert davon? Warum wurden nicht nur ihre literarischen Eintragungen veröffentlicht? Wer hat Genuß daran? Man mag einen Racheakt vermuten, aber es bleibt Spekulation.
Unzweifelhaft sind dies die Tagebücher einer sehr jungen Frau (sie hat angefangen mit 18 Jahre Buch über ihre Lebens und Literatur- Krisen zu führen), die die kulturellen Landschaft Buenos Aires ihr eigen nannte, die Drogen nahm und sich mit Selbstmordgedanken trug. Von Ana Becciu (Buenos Aires, 1948) ist dies für alle Augen zugänglich gemacht worden, auf Wunsch der Autorin, wenn man Beccius Worten Glauben schenkt. Sie habe die Autorin am 24. September 1972, einen Tag vor Ihrem Selbstmord besucht, und sie habe bei diesem Treffen der Wunsch geäußert, das Becciu ihre Notizen veröffentlich solle. Von Pizarnik finden wir dagegen die Eintragung: Es mir peinlich, ein Tagebuch zu schreiben (S. 136). In einer Artikel der Zeitung Clarin von 14.9.2002, schreibt Becciu, dass nach dem Tod Pizarniks deren Mutter sie bat, zusammen mit Olga Orozco und Elvira Orphée die Papiere aus der Wohnung der Dichterin zu holen. Alle drei Freundinnen fanden ein penibel geordnetes Archiv vor.
Obwohl Becciu vermutlich die letzte Zeugin der Wünsche Pizaniks war, war sie nicht bereit, die Veröffentlichung in Spanien als Herausgeberin zu verantworten und schlug hierfür Nora Catelli vor. Nora Catelli, eine bekannte Literaturkritikerin, lehnte aus nicht bekannten Gründen diese ehrenvolle Aufgabe ab und so wurde Ana Becciu am Ende doch zur Herausgeberin. Befremdlich erscheint, daß Pizarnik ausgerechnet die damalig 24 jährige Becciu mit einer solchen Aufgabe betraute, sie, die sonst nur die Freundschaft mit soliden und erfahrenen Autoren pflegte. Es bleiben viele Ungereimtheiten in Bezug auf die Rolle Beccius. Myriam Pizarnik, die Schwester und Nachlaßverwalterin der Dichterin, hat höchstwahrscheinlich veranlaßt, welche Passagen die Augen des Lesers erreichen darf und welche nicht.
Die Tagebücher, 20 mit Schreibmaschine verfasste Hefte und zusätzlich mehrere Manuskripte, sind wanderten über Olga Orozco, Martha Moia, Julio Cortázar, und nach dessen Tod zu Aurora Bernárdez, bis sie schließlich von der Princeton University, New Jersey, erworben wurden.
Teile aber blieben in Argentinien. Sie befanden sich im Hause der Großmutter Pizarniks, Rosa Brommiker. Als sie starb, beauftragte Myriam Pizarnik ihren Sohn, die Schriftstücke und Bücher zu spenden oder andere Weise aus den verlassenen Wohnung zu entfernen. Der Sohn schenkte einen Teil dieser Schätze einem Kollegen in der Zentralbank von Buenos Aires.
Die Übersetzung von Klaus Laab ist makellos, er hat ohne Zweifel die teils verstümmelte Stimme Pizarniks verstanden. Diana García Simon (Bücher zu Lateinamerika)