Zum Buch:
Eines schönen englischen morgens treibt eine Leiche in der Brandung. Die unbekannte junge Frau scheint Opfer eines Badeunfalls geworden zu sein. Aber schnell stellt sich heraus, dass sie keinesfalls unbekannt, sondern der in ganz England und den USA bekannte Filmstar Christine Clay und der Badeunfall ein heimtückischer Mord war. Das ruft Scotland Yard in Gestalt von Inspektor Alan Grant und seinem getreuen Sergeant Williams auf den Plan, und der Fall scheint schon bald gelöst: alle Indizien, auch wenn sie spärlich genug sind, weisen auf Robert Tisdall, eine Zufallsbekanntschaft der Schauspielerin. Doch die Verhaftung geht schief, Tisdall entkommt und verschwindet spurlos. Und dank des Eingreifens der so resoluten wie pragmatischen und intelligenten 16jährigen Erica Burgoyne, Tochter des örtlichen Polizeiinspektors, kann seine Unschuld bewiesen werden. Aber obwohl alle Zeitungen und alle Sender diese Tatsache an prominenter Stelle verkünden, bleibt er verschwunden. Und Grant, der um seinen Ruf bangt und sich Sorgen um Tisdall macht, steht erneut vor der Aufgabe, einen Täter zu finden. Die Auswahl ist durchaus nicht gering: Da ist der Musicalkomponist Jay Harmer, ein guter Freund oder sogar Liebhaber von Christine, ihr Mann, Lord Edward, oder ihr Bruder, dem sie testamentarisch den titelgebenden Schilling für Kerzen vermacht hatte. Alle haben sie problematische Alibis, keiner ist eindeutig als Täter festzunageln. Erst ein Zufall sorgt dafür, dass der Täter entlarvt wird, und obwohl Zufälle gegen die Genreregeln verstoßen, fragt man sich am überraschenden Ende doch, ob man es nicht hätte wissen können.
Ein Schilling für Kerzen, erschienen als zweiter Kriminalroman von Tey im Jahre 1936 ist ein Leckerbissen für Fans des klassischen Whodunit, aber vor allem ein nicht nur spannender, sondern so vergnüglicher wie erhellender Einblick in das englische Theater- und Künstlermilieu der Zwischenkriegszeit (Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind nicht ausgeschlossen) und verweist mit beißender Ironie auf die herablassende Arroganz der englischen Upperclass gegenüber allen, die bedauerlicherweise nicht zum Empire gehören (Triggerwarnung!). Tey schreibt mit viel Stil und Ironi,; ihre Figuren springen förmlich aus den Seiten – allein das Portrait der jungen Erica wäre bereits die Lektüre wert.
Es ist gut, dass Josephine Tey nach so langer Zeit wiederentdeckt wurde und in Ein Schilling für Kerzen endlich in einer angemessenen Übersetzung vorliegt. Wer noch Urlaubslektüre sucht, sollte sich das Buch unbedingt in den Koffer packen. Sie werden es garantiert nicht bereuen.
Irmgard Hölscher, Frankfurrt a. M.