Zum Buch:
Hanna Krause aus Magdeburg, geboren 1913, gestorben 1992, ist das, was man etwas herablassend eine „einfache Frau“ nennt. Bei ihrer älteren Schwester, die ein Blumengeschäft betreibt, hat sie das Blumenbinden gelernt, nach ihrer Heirat mit dem Arbeiter Karl Krause selbst ein Blumengeschäft aufgemacht und wieder aufgeben müssen, weil die Zeiten nicht danach waren, hat als Putzfrau gearbeitet, um den versoffenen und später invaliden Gatten und sechs Kinder durchzubringen, von denen sie zwei verlor, wurde dann, nach dem Krieg, Kranführerin in einem Stahlkombinat, hat sich in der Rente um ihre zahlreichen Enkel gekümmert, ihren Mann begraben und schließlich kurz vor ihrem Tod zu ihrer lebenslangen Liebe zu den Blumen zurückgefunden.
Eine einfache Frau? Kann man so sehen, aber gerade diese Frauen waren es, die mehr als alle anderen die Geschichte des 20. Jahrhunderts buchstäblich am eigenen Leib erlebt und den Laden trotzdem am Laufen gehalten haben: Die Kinder mussten versorgt, die Männer gepflegt, das Land zweimal wieder aufgebaut werden. Und wie hätte das geschafft werden können ohne all diese „einfachen“ Frauen, die ihre zweifellos vorhandenen Träume, Wünsche, Pläne immer wieder aufgeben mussten?
Gradlinig, schnörkellos, ohne Sentimentalitäten und Klischees, aber mit liebevoller Distanz zu ihrer Protagonistin entwirft Annett Gröschner ein detailliertes Panorama des letzten Jahrhunderts mit all seinen Schrecken und Umbrüchen, ohne zu psychologisieren oder zu interpretieren, stilistisch brillant und atemberaubend großartig erzählt anhand eines einzigen Lebens. Eines Lebens voller kleiner Freuden, großer Verluste, Katastrophen und harter Arbeit, durch das sich aber wie ein roter Faden die Liebe zu den Blumen zieht. Diese Liebe nimmt die Autorin zum Anlass, ihrer Protagonistin ein Geschenk zu machen: Die botanischen Beschreibungen einer Blume, aber auch einer Fliege, eines Schneckenhauses, einer Raupe und einer Libelle, die jedem Kapitel scheinbar willkürlich vorangestellt sind, fügen sich am Ende zu einem Strauß, der dem Bild „Blumenvase in einer Fensternische“ von Ambrosius Bosschaert, dem flämischen Stillebenmaler aus dem 17. Jahrhundert, entspricht. Welche Bedeutung dieser Strauß im Leben der Hanna Krause hat, das müssen Sie schon selbst lesen. Und Sie sollten sich dieses Buch auf keinen Fall entgehen lassen, denn es ist so selten, wie es ergreifend ist, und die Lebensgeschichte der gar nicht so „einfachen“ Hanna wie die Geschichte „ihres“ 20. Jahrhunderts wird sie garantiert noch lange begleiten.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main